Angehörigenpflege – ein zweischneidiges Schwert. Wo die Kritikpunkte liegen und was zu tun ist

Viele pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren möchten so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben. Gleiches gilt für schwer erkrankte Erwachsene sowie betreuungsbedürftige Kinder und Jugendliche. Zunehmend übernehmen Angehörige diese anspruchsvolle Pflege- und Betreuungsarbeit – aus Liebe, aus Verantwortungsgefühl oder weil sie sich eine professionelle ambulante Pflege schlicht nicht leisten können.

Laut dem Bundesamt für Gesundheit engagieren sich in der Schweiz rund 600’000 Menschen als pflegende Angehörige. Ihre Arbeit ist für das Gesundheitssystem unverzichtbar, bleibt jedoch oft unsichtbar – und mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Viele dieser Pflegenden geraten finanziell unter Druck, weil sie ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder ganz aufgeben müssen. Die körperlichen und emotionalen Belastungen der Pflege sind hoch und können zu Erschöpfung oder Burnout führen. Isolation, fehlende Erholungsphasen, komplexe bürokratische Hürden und die schwierige Vereinbarkeit von Pflege und Privatleben prägen den Alltag. Besonders betroffen sind Menschen mit Migrationshintergrund, die sich aufgrund sprachlicher Barrieren oft schwerer mit administrativen Abläufen und behördlichen Anforderungen tun

Ein wichtiger Fortschritt wurde am 20. Dezember 2019 mit der Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung erzielt. Seither ist es möglich, sich als pflegender Angehöriger über eine professionelle Spitex-Organisation anstellen zu lassen und für die erbrachten Leistungen entlohnt zu werden.

Diese Anstellung bietet mehrere Vorteile: Neben einem Lohn – der AHV-Lücken vermeiden hilft – erhalten pflegende Angehörige fachliche Schulung, werden durch monatliche Kontrollbesuche begleitet und können Fragen stellen oder neue Pflegemassnahmen erlernen. Zudem bietet der Austausch mit Fachpersonen die Möglichkeit, über Herausforderungen oder Stresssituationen zu sprechen – ein wichtiger Beitrag zur emotionalen Entlastung.

Doch dieses System steht zunehmend in der Kritik. In den letzten Jahren mehren sich Vorwürfe gegen gewisse Spitex-Organisationen, die Angehörige beschäftigen. Kritisiert wird, dass das Geschäftsmodell zu lukrativ geworden sei. Es entstünden zahlreiche neue Anbieter, deren Hauptaugenmerk weniger auf der Pflegequalität als vielmehr auf kurzfristigem Gewinn liege. Tatsächlich lässt sich eine starke Zunahme solcher Organisationen beobachten – nicht alle von ihnen handeln im Interesse der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Statt auf Qualität setzen manche auf Masse, betreuen möglichst viele Personen bei minimalen Kosten.

Ein solches Vorgehen ist berechtigterweise zu kritisieren. Es schadet nicht nur der öffentlichen Hand, sondern auch den Betroffenen, denen eine qualitativ hochwertige Betreuung zustehen würde – fachlich sowie menschlich.

Deshalb braucht es klare Qualitätsstandards. Angehörige ohne pflegerische Vorkenntnisse müssen zwingend eine Grundausbildung absolvieren und laufend durch qualifiziertes Fachpersonal begleitet werden. Arbeitsverträge sollten klar geregelt sein und eine faire Entlohnung garantieren. Die Einnahmen aus der Angehörigenpflege müssen so eingesetzt werden, dass auch die Fachkräfte, die Schulung und Unterstützung leisten, angemessen entlohnt werden. Zusätzlich sollten Mittel in die Aus- und Weiterbildung sowie in den Aufbau nachhaltiger Strukturen investiert werden – etwa durch regionale Netzwerke oder Entlastungsangebote für pflegende Angehörige.

So kann gewährleistet werden, dass Angehörigenpflege nicht nur eine kostengünstige Ergänzung zur stationären Pflege ist, sondern auch langfristig ein integrativer, professioneller und menschlicher Pfeiler unseres Gesundheitssystems bleibt. Vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund braucht es gezielte Unterstützung, um ihnen die Teilhabe an diesem Modell zu ermöglichen – mit sprachlicher, emotionaler und fachlicher Begleitung.